Wir als Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasiums Othmarschen sehen uns, ebenso wie unsere Kolleginnen und Kollegen in Hamburg und allen anderen Bundesländern, nach wie vor einer allen gemeinsam gestellten Aufgabe gegenüber: Der Vorgang des Lesens an sich, so wird es sowohl von der Öffentlichkeit als auch innerhalb der Rahmenpläne1 immer wieder gefordert, müsse in seinen vielfältigen Facetten in Zukunft wesentlich stärker als bisher in den Unterricht integriert werden. Dabei gründet diese Forderung vor allem darauf, dass PISA wiederholt gezeigt hat, dass die Schülerinnen und Schüler in Deutschland lernen müssen besser zu lesen, als sie es zur Zeit können. Wie das allerdings geschehen soll, ist bisher noch zu oft unklar. Wir sind also damit beauftragt, ein Ziel zu erreichen, haben aber bisher wenig verbindliche Hilfestellungen bekommen, wie der Weg dorthin zu beschreiten ist. Wie aber soll es in Zukunft besser gemacht werden, wenn dieser Punkt nicht geklärt ist? Was kann vor diesem Hintergrund eigentlich „besser lesen können“ bedeuten und was verbirgt sich dann inhaltlich hinter dem allgegenwärtigen Begriff der Lesekompetenz? Welche Faktoren beeinflussen das Lesen positiv und - noch wichtiger- auf welche kann in der Schule Einfluss genommen werden2?
Am Gymnasium Othmarschen nehmen wir all diese Fragen sehr ernst. Dies liegt vor allem daran, dass das Lesen eine (wenn nicht gar die) zentrale Schlüsselqualifikation unserer Gesellschaft darstellt. Konnte man lange Zeit behaupten „Wer lesen kann, der ist im Vorteil“, so gilt heute vor allem mehr denn je der Umkehrschluss „Wer nicht lesen kann, der ist deutlich im Nachteil“. Um unsere Schülerinnen und Schüler zu guten Leserinnen und Lesern zu machen und sie weiter zu fördern, ist uns Folgendes besonders wichtig:
Zunächst einmal gehen wir davon aus, dass es unerlässlich ist, ein Verständnis des Lesens zu besitzen, das die einzelnen Komponenten dieses Prozesses abbildet und es uns so ermöglicht, Probleme einzelner Schüler detailliert zu erfassen, um dann möglichst zielorientiert an ihnen zu arbeiten.
Wir nutzen zu diesem Zweck ein von Prof. Willenberg (Universität Hamburg) entwickeltes Modell3 und haben uns darauf aufbauend am Gymnasium Othmarschen entschieden, zunächst einmal den Weg der Strategievermittlung zu prüfen. Den oftmals proklamierten Weg der Verbesserung der Lesekompetenz durch Leseförderung (etwa: Steigerung der Lesekompetenz durch gehäuftes und lustvolles Lesen) wollen wir zunächst nicht in den Vordergrund stellen. Vielmehr wollen wir untersuchen, inwiefern die Vermittlung bestimmter Lesestrategien dazu beitragen kann, Schülerinnen und Schüler zu kompetenten Lesern zu machen. Dabei ist natürlich auch die Vermittlung von Freude am Lesen ein uns allen wichtiges Projekt. Wir gehen aber nicht davon aus, dass allein durch das Lesen vieler Bücher die Lesekompetenz gesteigert werden kann – ebenso, wie häufiges Fernsehen keine (fernsehspezifische) Medienkompetenz bewirken wird. Stattdessen scheint es uns wahrscheinlich, dassder Erwerb von strategischen Lesetechniken eine Grundvoraussetzung ist, um Texte (besser) zu verstehen. Eine erste Pilotuntersuchung am Gymnasium Othmarschen im Schuljahr 2005/2006 ergab diesbezüglich vielversprechende Ergebnisse. Ebenso zeigen die Daten, die im Rahmen einer Dissertation im Schuljahr 2007/2008 gewonnen wurden, dass dieser Weg großes Potenzial birgt.
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1vgl. das in den Rahmenplänen explizierte Ziel: „Der Erwerb einer vertieften Lesekompetenz wird im Deutschunterricht durch Übung und Reflexion intensiv gefördert“ (http://www.hamburger-bildungsserver.de/bildungsplaene/Sek-I_Gy9/DEU_Gy9_SekI.pdf, 5.10.2005)
2 Streblow führt hierzu aus: „Es geht somit auch um die Frage, ob die Unterschiede zwischen guten und schlechten Lesern eher auf lesespezifische Fähigkeiten, wie zum Beispiel die Geschwindigkeit der korrekten Wort- und Satzerkennung (Dekodiergeschwindigkeit), oder eher leseunspezifische Faktoren wie Intelligenz oder Vorwissen zurückzuführen sind“ (2004, S. 277 f.). Streblow selbst gibt die Ergebnisse der Untersuchungen wie folgt wieder: „Der engste Zusammenhang bestand dabei zwischen Intelligenz und Lesekompetenz“ (ebd., S. 278).
3 Vgl.: Willenberg, Heiner: Schritte zum Textverstehen; Lesen aus der Perspektive der Gehirnforschung, in: Schulmagazin, 6, 2003, S. 9 – 12.
4 DESI steht für Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International. Dabei handelt es sich um eine Untersuchung, die die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland in den Fächern Deutsch und Englisch untersucht.
5 Vgl.: Spinner, Kaspar: Lesekompetenz in der Schule, In: Schiefele, Ulrich et al. (Hrsg.): Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz, Vs Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2004, S. 136.